Kunst verzerrt die Wirklichkeit. Das ist eigentlich gut. Was soll man auch sonst mit der Wirklichkeit tun, sie etwa erkennen? Insofern geht jeder Kunst sogar ein gewisser Realismus voraus. Nur die Naturalisten verstehen das nicht und handeln widersprüchlich. Deshalb sind sie die Schlimmsten – die Romantiker entsprechend die Besten.
Stellt sich aber die Frage, wieso manche Menschen überhaupt das Bedürfnis haben, die Welt zu verzerren. Gefällt ihnen die wirkliche nicht? Flüchten sie in eine Scheinwelt, müssen aufs Jenseits verweisen, sind sie christlich?
Ja. Künstler sind unzufrieden mit der augenscheinlichen Welt und verweisen auf eine andere. Aus einer persönlichen Not heraus.
Hinzu kommt womöglich noch das Bedürfnis nach Selbstdarstellung, oder noch elementarer: der Ich-Findung. Künstler haben somit nicht nur ein Problem mit der Welt, sondern auch eines mit sich selbst.
Und dann wünschen sie mit ihren kränklichen Werken, dass intellektuell darüber gesprochen wird und alle nachdenklich stimmt. Wollen, dass gesunde Persönlichkeiten sich ihre Krankheit aneignen, sie mit ihnen teilen, dass alle gemeinsam untergehen. Und wenn der Gesunde das nicht mag, ist der Künstler beleidigt. Und trotzdem bezieht er gerade daraus seinen Stolz.
Der Künstler, als lächerlicher Christ mit Identitätsstörung.
Vielleicht ist dieser Blick auf die Kunst als eine Verzerrung der Wirklich zu einseitig. Vielmehr würde ich es modifizieren wollen: ist es doch keine Verzerrung, sondern vielmehr die Wahrnehmung der Welt aus einer subjektiven Perspektive. Und selbst das wäre nur eine Position von vielen. Die Kunst verschiedenster Epochen als auch der Gegenwart zeigt doch immer wieder, dass es nicht rein um die Inszenierung oder Thematisierung des Ich’s geht.
Laut dieser Interpretation wäre die Kunst ja rein zu einem Heilmittel für psychisch Kranke degradiert worden – und das wäre angesichts der langen Geschichte der Kunst doch wahrlich traurig…
Nur weil es traurig wäre, heißt es nicht, dass es nicht auch wahr ist.
Aber sicherlich ist es eine einseitige Betrachtung.^^
„dass es wirklich Männer gibt, die die heutigen Gestalten unseres Volkes nur als verkommene Kretins sehen, die grundsätzlich Wiesen blau, Himmel grün, Wolken schwefelgelb usw. empfinden oder, wie sie vielleicht sagen, erleben. Ich will mich nicht in einen Streit darüber einlassen, ob diese Betreffenden das nun wirklich so sehen und empfinden oder nicht, sondern ich möchte im Namen des deutschen Volkes es nur verbieten, daß so bedauerliche Unglückliche, die ersichtlich an Sehstörungen leiden, die Ergebnisse ihrer Fehlbetrachtung der Mitwelt mit Gewalt als Wirklichkeiten aufzuschwätzen versuchen oder ihr gar als ‚Kunst’ vorsetzen wollen.“
Quelle: http://www.mip.at/attachments/292
Ich weiß gerade nicht, was ich dazu sagen soll: denn der erste Absatz ist ganz wunderbar geschrieben, provokativ und kurz. Der restliche Artikel scheint aber alles in der Schwebe zu halten, keine eindeutige Position von dir und der Leser darf sich aussuchen, ob du das ganze nun ironisch meinst oder ernst. Für mich stellt sich übrigens nicht die Frage, ob die Kunst die Wirklichkeit verzerrt. Die Wahrnehmung selbst ist nur eine Konstruktion und was man an einer Konstruktion verzerren soll unklar.
Übrigens finde ich den Gedanken, dass Kunst Kommunikation sei, sehr wichtig. Und dass sich Kunst auf eine Tradition bezieht, von der sie sich abgesetzt. Deshalb machen psychisch Kranke auch häufig keine Kunst. Sie malen und zeichnen, und das mag allemal Kommunikation sein, aber deshalb noch lange nicht traditionsbezogen.
Ich widerspreche meinem Vorschreiber, Frederik Weitz. Der Text krankt meiner Meinung nach schon am ersten Satz. Denn dieser stellt implizit die These auf, dass es eine Wirklichkeit gibt. (Wobei jeder sich aussuchen kann, ob die Betonung auf „eine“ oder „Wirklichkeit“ liegt, passt beides.) Kunst ist in diesem Sinne keine Verzerrung der Wirklichkeit, sondern meist wird von Kunst gesprochen, wenn eine außergewöhnliche Meinung über Wirklichkeit aufgefunden wird. Ob Kunst oder nicht Kunst ist eine Setzung. Kunst liegt also vor, wenn sich in einem Kommunikationszusammenhang herauskristallisiert, dass eine Äußerung über einen Zustand von Nicht-Kunst abzutrennen ist.
In diesem Sinne kann man natürlich auch sagen, dass Kunst eine Verzerrung ist, aber keine der eine Nicht-Verzerrung vorausgeht, sondern eine Verzerrung unter vielen, die aus einem bestimmten Grund spezielle Aufmerksamkeit verdient.
Kunst und Christentum zu verbinden finde ich nicht fruchtbar. Im Kern sogar angreifbar. Denn das Verständnis von Religion im Christentum bezieht sich auf einen transzendenten, körperlosen Gott, der gleichzeitig Alles und Nichts darstellt. Dem entgegen ist Kunst Manifestation (ob von Dauer oder nicht spielt keine Rolle). Das die Christen sich vom Bilderverbot jüdischer oder islamischer Prägung gelöst haben, ist in diesem Sinne kein Ruhmesblatt, wie ich finde, sondern verschleiert den ursprünglichen Gedanken. Das gilt auch für die Manifestation eines Gotteshauses. (Apostelgeschichte 7:48)
Das Bild eines Landschaftsmalers ist wie ein Zitat zu gebrauchen. Wenn es aber stimmt, dass Sprache selbst nur aus Zitaten und Verweisen besteht, so sind wir alle nur Lautmaler im Sinne des Landschaftsmalers. ;-)