Seit sie nun lange langsam schleicht
eh sie endlich aus der Kiste springt,
(mehr springen will als dass sie’s wirklich tut)
Seit sie nun lange langsam schleicht
Eh sie endlich aus der Kiste springt
– stellt sie sich vor als existent:
Die Katze wird benannt
später denunziert
vom Herrchen nicht gewollt, der Verwirrung beschuldigt
des Irrtums bezichtigt und des Schwindens beschworen,
als Fiktion diffamiert, auch schlicht verkannt,
dann ganz viel geschwafelt wie man’s so tut
Als Ob und Perfektion erwägt
zuletzt schlicht verbannt
Die Katze schleicht noch lang,
sie schleicht noch gern
heimlich liebeslüstern,
meist unheimlich nüchtern
doch hauptsächlich
heimlich den Korridor entlang
abstrahieren, diffamieren, konstruieren:
diesen Quatsch nur um
den Versuch die Kiste zu öffnen zu frequentieren;
Dabei ihren unklaren Zustand zu honorieren
dennoch ein Blick zu erhaschen
durch Abstraktion in der Schrift den Fakt zu maskieren
sich in Unschärfe verlieren
Die Katze bleibt halbtot
Die Liebe noch still
Ersteres: wie’s Schrödinger will
Letzteres: wie seine Katzen so sind
Doch ich – alias Schrödinger – liebe dich gerne
und schiebe die Katze als Metapher weit in die Ferne
Die Überzeugung, dass Raum und Zeit eigentlich eins seien, in unserem Geist konstruiert und ohne absolute Existenz, verbindet Einstein mit Schopenhauer, für den die Welt Wille und Vorstellung war. In der Vorstellung treten derjenige, der etwas vorstellt, und das, was vorgestellt wird, zu einem strikten Entweder-oder auseinander, im Willen sind sie eins, ein Sowohl-als-auch.
Zu den Vorstellungen gehören auch Gedankenexperimente, beispielsweise „Schrödingers Katze“. Hier wird dadurch eine paradoxe Situation geschaffen, dass bestimmte mikroskopische Dinge (Elektronen) und bestimmte makroskopische Dinge (Gegenstände der Alltagswelt) zueinander in Beziehung gesetzt werden: Für erstere gilt ein Sowohl-als-auch ihrer möglichen Zustände, dies mit der Folge, dass sich Elektronen gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhalten können; für letztere gilt ein klares Entweder-oder, entweder ist eine Katze tot oder lebendig. Durch die direkte Beziehung dieser beiden Gegenstandsbereiche aufeinander ergibt sich jedoch die Situation, dass eine in einer geschlossenen Kiste befindliche Katze sowohl tot als auch lebendig ist. Ein Skandal! Aber doch nur ein Gedankenexperiment! Eine Szenerie, die sogleich dadurch entschärft wird, dass sie begrenzt und eingezäunt ist in einer sonst wohlgeordneten Welt, in der alles klar und entscheidbar ist. Der Physiker Schrödinger erschafft eine Metapher, er bleibt souverän, die Katze seine Vorstellung und das Entweder-oder intakt.
Indessen verkehrt sich die Situation in „Schrödingers Liebe“ zunächst in ihr Gegenteil, einem lyrischen Meta-Gedankenexperiment, das sowohl die Katze als auch Schrödinger einbezieht. Die eine Katze hat sich hier in sich reflektiert und ist Wille (zum Sprung) und Vorstellung (ihrer selbst als existent) geworden. Ihre Vorstellung schließt das anonyme Heer derer ein, die sie befehden, nicht wollen, ihre Vorstellung vergeblich auszulöschen versuchen und darum schließlich zu verbannen und auszugrenzen scheinen. Aber alleine die Katze ist und darum auch nicht mehr in einer Kiste, sondern auf einem Korridor als dem Verbindungsgang zwischen Zimmer- oder Kistenfluchten, in denen ihre Verleumder eingegrenzt sind, die nur vorübergehend Sein erhalten, nämlich im Frequentieren des Versuchs, die Kiste zu öffnen. Die Modalbestimmungen haben sich für den Vorstellenden und sein Vorgestelltes vertauscht. Während die Katze in ihrer un-heimlichen Nüchternheit zum Fakt, zur Wirklichkeit geworden ist, verlieren sich ihre Theoretiker ihrerseits als Möglichkeiten in der Unschärfe von Sein und Nichtsein.
Und doch bleibt die Wirklichkeit der Katze so lange eine bloße Möglichkeit, wie sie im Entweder-oder von Vorstellendem und Vorgestelltem verharrt. Darum wird (in einer Umkehrung der Anfangssituation) zuletzt Schrödinger selbst als Wille und Vorstellung (Alias) heraufbeschworen und in sich reflektiert als der Eine gegenüber den anonym gewordenen vielen Katzen. Hier erhält das lyrische Ich seine Stimme als die Liebe, das Zugleich von Sowohl-als-auch und Entweder-oder, das gleichermaßen Wille und Vorstellung, Katze und Schrödinger, Möglichkeit und Wirklichkeit, Ersteres und Letzteres trennend und vereinigend ist. Als Grenze gibt es sich einerseits als Zeitlichkeit (mit dem ersten Vers) und anderseits als Räumlichkeit (mit dem letzen Vers) kund, die beide durch das doppelt-eine zeitigend-einräumende kommunizierende Ich vermittelt sind.
Ich lese in diesem Gedicht nichts über Schrödinger und schon gar nichts über Katzen oder ein Gedankenexperiment. Für mich klingt das Gedicht wie zwei Anklagen, die auf zwei verschiedenen Ebenen thematisiert werden: Einerseits die spöttische Kommentierung der Reaktionen auf das Experiment, welceh das Gedicht selbst mit einschließt. Es wurde unglaublich viel über das Experiment geschrieben, gedeutelt und Nonsens verbreitet, weil die meisten den Versuch nicht kennen, oder die physikalischen Hintergründe nicht verstehen. Das Gedicht reiht sich da nahtlos ein, sowohl vom Inhalt, als auch von der Form her.
Diese Ebene sehe ich aber nur als eine Metapher, ja sogar eine Ablenkung hinter der sich eine zweite Anklage verbirgt, die sich an die Welt richtet. Denn all dies, was der Katze wiederfährt, erleben auch Menschen. Sie werden in Schubladen gesteckt, diffamiert, in einem Zustand der Schwebe gehalten: Ausgegrenzt vom Leben, aber dennoch nicht tot. Bedroht schleichen sie zwischen den Lauten tönen des Lebens herum, oder versuchen mit verzweifelten Gesten zu schreien: „Seht her, ich existiere, ich bin.“ Meistens jedoch gehen sie im Geschrei unter, oder wollen gar nicht gesehen werden, da Aufmerksamkeit nach ihrer Erfahrung nichts Gute hervorbringt. So bleiben auch ihre Bedürfnisse unerfüllt, die Liebe still.
B.: „Ich […] still.“ Ein Vorsatz? Viel Erfolg!